Ist für Expat-Ehefrauen mit 27 beruflich Schluss?

Der am 18.05.2019 im SPIEGEL erschienene Artikel „Expat-Ehefrauen – Wenn mit 27 beruflich Schluss ist“ provoziert und verlangt nach einem Realitätscheck!

Ein Dilemma auf mehreren Ebenen

Es herrscht in der Tat eine große Diskrepanz zwischen dem hohen Grad der Qualifikation und der Alltagsrealität einer mitausreisenden Partnerin. Es ist ein Dilemma auf mehreren Ebenen, für das es jedoch kreative und zeitgemäße Lösungen gibt.

Frauen, die mitten im Leben stehen, bestens ausgebildet sind und oft schon beachtliche Karrieren aufgebaut haben, lassen all das zurück und begleiten ihren Partner voller Enthusiasmus in Ausland, um dann festzustellen, dass die Realität auf dem lokalen Arbeitsmarkt ernüchternd ist. Ein Umzug mit Kindern ist weitaus komplexer, als es viele einschätzen und verlangt von den Eltern eine starke und umfangreiche Begleitung ihrer Kinder, sowohl im praktischen Sinne als auch emotional. Wenn beide Partner sofort in zwei Vollzeitjobs durchstarten, ist dies kaum zu leisten.

Was leisten die Unternehmen?

Immer wieder höre ich von Expat-Frauen, dass es seitens der Unternehmen nur wenig Verständnis und Unterstützung für sie gib. Man erhält ggf. ein Fortbildungsbudget, eine Teilnahme an einer interkulturellen Entsendungsvorbereitung und mit viel Glück gibt es Hilfe bei der Jobsuche. Sobald das Paar im Ausland angekommen ist, ist es jedoch meist auf sich gestellt. Es erweckt den Eindruck, als würden Unternehmen die Belange der Partner als „Privatsache“ abtun. In den Personalabteilungen der Firmenzentralen kennt man sich nicht mit den Gegebenheiten vor Ort aus und kann hier weder die Lage einschätzen noch unterstützen. Eine Relocation-Agentur vor Ort kann praktische Tipps für Wohnungs-, Schul- und Arztsuche geben. Aber die Fragen rund um die Eingewöhnung, anfängliche Isolation, Kulturschock, eingeschränkte Autonomie und eben auch Karrieremöglichkeiten, kommen erst einige Zeit später. Hier wäre ein Expat-Coaching vonnöten, welches jedoch meist nicht vorgesehen ist.

Blickt man auf die vorangegangenen Generationen von Expat-Frauen zurück, so waren all diese Partner Support Maßnahmen noch völlig undenkbar und hat viele Frauen in die Resignation geführt. Immerhin erkennen immer mehr Unternehmen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit des mitausreisenden Partners und dem Gelingen eines Auslandseinsatzes besteht.

Wie lösen wir das Dilemma?

Die neuen Generationen von Expats sind mit einem selbstbewussten Frauenbild aufgewachsen und gehen mit anderen Erwartungen in eine Entsendung als früher. Damit diese Erwartungen der Realität standhalten, ist es wichtig, sich vorher gründlich über das Zielland und die Lebensumstände zu informieren, um dann eine bewusste Entscheidung zu treffen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Je bewusster die Entscheidung, desto weniger tauchen später Gefühle von Machtlosigkeit und Enttäuschung auf. Hierzu gehört auch der Mut, Nein zu sagen, wenn es nicht passt. Auf Hilfe seitens der Unternehmen sollte man nicht warten, sondern es selbst in die Hand nehmen und ggf. einen Expat-Coach zurate ziehen, der sich im Zielland auskennt.

Hilfreiche Tipps und ein Gefühl für die Expat-Welt findet man auch in Facebook-Gruppen wie den „Weltfrauen“ mit über 6000 Mitgliedern oder bei den Expatmamas unter www.expatmamas.de. Es fasziniert mich immer wieder zu lesen, dass es in jedem Winkel dieser Welt deutsche Frauen gibt und jede hat eine ganz individuelle, spannende Geschichte zu erzählen. Online Netzwerken ist heutzutage easy und die beste Möglichkeit, um am Anfang nicht alleine dazustehen. Für die rein berufliche Orientierung gibt es ebenfalls empfehlenswerte Expat-Coaches wie www.sharethelove.blog oder www.tandemnomads.com, die dabei helfen, ein „portable career“ – eine mobile Karriere – aufzubauen.

Manche Berufe wie z.B. Fotograf, Journalist, Lehrer oder Musiker lassen sich meist problemlos ins neue Land mitnehmen. Wer keine Arbeitsgenehmigung bekommt, kann ehrenamtlich arbeiten und wertvolle Praxis-Erfahrungen sammeln. Dank moderner Medien haben sich die Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung für Expat-Frauen erheblich verbessert. Fernstudium und Online-Kurse sind sehr beliebt, um die eigene Qualifikation zu erweitern. Wer kreativ ist und gerne „outside the box“ denkt, erfindet sich neu und wird zum Entrepreneur (z.B. Eröffnung einer deutschen Bäckerei, Wurstimporteur, Fremdenführer, Profi-Blogger oder Schmuckdesigner).

Wer sich bewusst dafür entscheidet, während der Auslandsentsendung des Partners nicht zu arbeiten, steht nicht allein da. Auch hier hilft es, ein Netzwerk mit Gleichgesinnten aufzubauen, um sich gegen Identitätskrisen und Unverständnis aus der Heimat zu wappnen.

Ich fasse zusammen:

  1. Realitätscheck
  2. Eigeninitiative
  3. Bewusste Entscheidung treffen und Verantwortung übernehmen
  4. Netzwerken
  5. Kreativ und mutig eigene berufliche Wege gehen

Der SPIEGEL-Artikel hat viele der o.g. Aspekte nicht erörtert und meines Erachtens versäumt, die kraftvolle Dynamik und die zahlreichen Möglichkeiten der neuen Expat-Generation abzubilden. Ich hoffe, es ist mir gelungen, meinen Lesern eine breitere Perspektive über die beruflichen Aussichten einer Expat-Partnerin zu vermitteln.

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