Ankommen mit angezogener Handbremse
Die Corona-Pandemie hat unser aller Leben auf den Kopf gestellt und uns mit ungeahnten Herausforderungen konfrontiert. Auch viele Expats hat es in 2020/21 hart getroffen. Diejenigen, die gerade erst in ihr Auslandsabenteuer gestartet sind und sich kaum mit der neuen Umgebung vertraut machen können. Diejenigen, die bereits länger im Ausland sind, jedoch mit einem stark eingeschränkten Alltag zurechtkommen müssen und vom Heimweh geplagt sind weil sie nicht auf Heimaturlaub gehen bzw. keine Besuche empfangen dürfen. Aber auch die Auslandsrückkehrer haben zu kämpfen. Denn auch wenn es auf den ersten Blick als die einfachste Variante erscheint, so haben die Rückkehrer bei beim Ankommen in der Heimat ganz besondere Hürden zu meistern.
Die Rückkehr ist ein Übergangsprozess
Der Ankommens- und Anpassungsprozess, den die Rückkehr aus dem Ausland (ganz unabhängig von Corona) nach sich zieht, wird von Vielen unterschätzt. Während der physische Umzug längst bewerkstelligt ist, brauchen unsere Seelen mehr Zeit.
Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.
Und gerade weil wir die Erwartung haben, dass beim Nachhausekommen alles viel einfacher ist und das Einleben schneller geht, gesellen sich zur anfänglichen Orientierungslosigkeit auch noch Scham- und Schuldgefühle sowie Selbstzweifel dazu.
Das müsste doch schneller gehen, ich stelle mich an. Ich müsste doch glücklicher sein, ich wollte es doch so. Warum habe ich das alles meiner Familie zugemutet? War es das wert?
Kein richtiger Abschied
Wenn wir zusätzlich noch eine Pandemie meistern müssen, gestaltet sich die Rückkehr um Einiges schwerer, als unter normalen Bedingungen. Denn gerade ein bewusster und zelebrierter Abschied von liebgewonnen Freunden und Orten, der aber aufgrund der Corona-Maßnahmen nur stark eingeschränkt möglich ist, trägt maßgeblich zur gesunden Verarbeitung der Zeit im Ausland bei.
Plötzliche, frühzeitige Rückkehr
Bei einigen Expats wurde die Rückkehr aus Sorge vor erhöhten Ansteckungsrisiken und verschärften Reisebeschränkungen ganz plötzlich und kurzfristig auf Anordnung des Unternehmens vorgezogen. Es blieb nur wenig Zeit, um den Umzug im Zeitraffer zu organisieren und so gut wie gar keine Chance, sich wie geplant zu verabschieden.
Der erlebte Kontrollverlust und das Gefühl, auf der Flucht vor einer Bedrohung zu sein, wiegen schwer.
Bei Ankunft in der Heimat folgen nicht selten eine zweiwöchige Quarantäne gepaart mit dem Wohnen in temporären Unterkünften, was den Aufbau eines neuen Zuhauses und das Einleben nahezu unmöglich macht. Plötzliche Evakuierungen treffen auch immer wieder Auslandsentsandte in politisch instabilen Ländern und hinterlassen nicht selten tiefe, traumatische Spuren, die psychologisch betreut werden sollten.
Familientrennung
Während ich dies schreibe, kommt es mir surreal vor, aber es ist bei zahlreichen Expat aus meinem Netzwerk so passiert. Am Anfang dachte man, die Pandemie sei eine Sache von Wochen, höchstens wenigen Monaten. Und so kam es, dass manche Expats vor Ort weitergearbeitet haben, während sie ihre Familien bereits vorgeschickt haben. Oder es waren andere Konstellationen, die eine Familientrennung nach sich zogen, immer das Wohl der Kinder im Fokus. Keiner konnte ahnen, wie lange die Pandemie die Welt fest im Griff haben würde und dass man gezwungen war, eine dauerhafte Fernbeziehung zu führen und aus dem Koffer zu leben.
Die Betroffenen mussten mit großen Entbehrungen fertig werden.
Auch Haustiere konnten nur unter erschwerten Bedingungen mitgenommen werden. Aufgrund eingeschränkter Flugmöglichkeiten ist es mitunter ein Spießrutenlauf, Haustiere zu transportieren. So konnte z.B. ein Hund oft nur Monate später einen Flug ergattern oder die Katze über abenteuerliche Umwege via Tokio und Moskau nach Hause geholt werden.
Ankommen mit angezogener Handbremse
Ein wichtiger Bestandteil des Ankommens und Wiedereinlebens im Heimatland sind für alle Familienmitglieder die sozialen Kontakte. Und diese sind während Corona so stark eingeschränkt, dass man sich auf die engsten Familienmitglieder konzentriert, aber viele andere Kontakte einfach noch nicht wieder aufgefrischt werden können. Bei der Rückkehr in eine ganz neue Region fängt man sogar wieder bei Null an.
Es ist ein Leben zwischen den Welten, ohne die Möglichkeit, das Alte abzuschließen und sich ganz auf das Neue einzulassen.
Eltern sorgen sich um ihre Kinder, da die Eingewöhnung in der neuen Kita oder Schule nur mit vielen Unterbrechungen vorangeht, das sorgenfreie Spielen mit anderen Kindern fehlt. Teenager haben es besonders schwer, virtuell in einer neuen Clique Anschluss zu finden und sich mit Gleichaltrigen zu verabreden. Für den Expat-Partner gestaltet sich der Wiedereinstieg bzw. die Jobsuche schwierig, denn der Arbeitsmarkt verharrte lange in einer Schockstarre. Nicht immer finden sich Tagesmütter oder Hortplätze, da diese ja auch schon in normalen Zeiten knapp waren.
In einem Interview habe ich meine Kollegin Rebecca Lüppen dazu befragt, wie es für sie war, zwei Wochen vor Beginn des ersten Lockdowns mit ihrer sechsköpfigen Familie aus dem Ausland zurückzukehren. Das 30-minütige Zoom-Interview findet ihr auf YouTube und eine Zusammenfassung der wichtigsten Kernaussagen in meinem nächsten Blog-Artikel.
Was hilft?
Es ist ganz essentiell anzuerkennen, dass die Rückkehr in Zeiten einer Pandemie eine große psychische Doppelbelastung darstellt. Wer auf starke innere Ressourcen zurückgreifen kann, kommt besser durch eine solche Zeit. Jedoch werden diese Ressourcen auf eine harte und vor allem lange Probe gestellt, denn die Pandemie zieht den Ankommensprozess schmerzlich in die Länge. Selbstfürsorge ist oberstes Gebot! Das Abschiednehmen ist auch immer mit Trauer verbunden. Es ist wichtig, sich die Zeit dafür zuzugestehen und zu nehmen.
Keiner muss das allein bewältigen.
Partner, Familie, Freunde, Arbeitgeber – alle können unterstützen, und das darf eingefordert werden. Wenn im eigenen Umfeld jedoch die Akkus auch auf Reserve laufen, gibt es die Möglichkeit, sich professionelle Hilfe zu holen. Es gibt telefonische Seelsorge bei Corona-Hotlines, die sich u.U. jedoch nicht speziell mit den Herausforderungen der Rückkehr auskennen. An qualifizierter therapeutischer Unterstützung für Erwachsene und für Kinder und Jugendliche sollten man an dieser Stelle nicht sparen. Kontaktiere mich gerne für Empfehlungen aus meinem Netzwerk.
Der Austausch mit anderen Rückkehrern, die gerade etwas ganz Ähnliches durchleben, ist gold wert.
Man darf sich die Last von der Seele reden, findet verständnisvolle Zuhörer und erlebt sich nicht mehr als einzige Betroffene. Schwierig wird es nur, wenn man sich dauerhaft gegenseitig herunterzieht und im Lamentieren verharrt.
Für jeden verläuft die Rückkehr anders und muss natürlich nicht ganz so dramatisch sein, wie in den oben beschriebenen Fällen. Wer proaktiv etwas für sein Wohlbefinden tun möchte, dem empfehle ich ein Rückkehrer-Coaching. Das biete ich als Einzelcoaching oder als Gruppencoaching an. Gemeinsam mit meiner Kollegin Christina Kapaun haben wir ein dreimonatiges Online-Gruppencoaching für Rückkehrer entwickelt, bei dem die Teilnehmer sich in einem sicheren Rahmen austauschen können und von uns professionell in ihrem Ankommensprozess begleitet werden. Die Themen und alle weiteren Infos zu unserem „Arriving“-Programm findet ihr hier.
Die Erfahrung mit unseren Teilnehmerinnen hat gezeigt, dass das Gruppencoaching in ihnen eine enorme Dynamik für ihre persönliche Entwicklung ausgelöst hat. Trotz Pandemie konnten sie große Fortschritte machen und immer mehr in der Heimat und bei sich ankommen.