Achterbahn der Gefühle
In den 60er Jahren stellten Gullahorn & Gullahorn in ihrer empirischen Forschung fest, was viele Auslandsrückkehrer intuitiv spürten: Rückkehrer von einem Auslandsaufenthalt erleiden während der Wiederanpassung an das Heimatland ähnliche Stresssymptome, wie bei der Anpassung an das Gastland zu Beginn des Auslandseinsatzes. Sie entwickelten daraus die W-Kurve der Akkulturation, die ich bereits in meinem Blog-Artikel „Why we experience Culture Shock“ abgebildet habe.
Eine solche Kurve kann natürlich nicht exakt die Erfahrung jedes Einzelnen wiedergeben, jedoch verdeutlicht sie, dass der Entsendungszyklus die Rückkehr miteinschließt und es typische Höhen und Tiefen gibt. Die Hochs werden Honeymoon-Phase genannt, die Tiefs Fremd- oder Eigenkulturschock. Dazwischen liegen jeweils Phasen der Erholung und der Anpassung mit vielen Schwankungen zwischendurch. Grundsätzlich finde ich es beruhigend zu wissen, dass es nach jeder Talfahrt auch wieder bergauf geht. In diesem Beitrag geht es um die Rückkehr und ihre typischen Phasen.
Die 4 Phasen
Je besser man auf die Rückkehr vorbereitet ist, desto eher kann man sich darauf einstellen und den „Eigenkulturschock“ abfedern. Schauen wir uns daher die vier Phasen der Rückkehr genauer an, die Craig Storti in seinem Buch „The Art of Coming Home“ beschrieben hat.
Phase 1: Abschied & Abreise – Gute Planung oder abruptes Ende?
Der innerliche Abschied beginnt schon Monate vor der tatsächlichen Ausreise. Die Gedanken wandern immer öfter in die Zukunft: Wie geht es beruflich weiter? Wo werden wir wohnen? In welche Schule gehen die Kinder? Es entstehen lange To-Do-Listen für Abschiedsfeiern, Umzugsplanung, Behördliches, etc.
Gleichzeitig nabelt man sich unbewusst schon ein wenig ab, sieht das Gastland mit etwas kritischeren Augen („Den Smog werde ich ganz sicher nicht vermissen!“) und distanziert sich ggf. schon ein wenig von den Freunden, sozusagen aus Selbstschutz, damit der Abschied nicht so schmerzt. Diese Phase ist demnach von einer großen Ambivalenz geprägt – typisch für alle großen Veränderungen im Leben.
2020 ist bei vielen Rückkehrern diese Phase aufgrund der schwerwiegenden Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kurz gekommen oder gar komplett ausgefallen, was den Verarbeitungsprozess der Rückkehr zusätzlich erschwert. Wenn man sich beispielsweise von liebgewonnen Menschen und Orten nicht verabschieden konnte, die Rückkehr mit einer längeren Familientrennung einhergeht oder die Kinder ihre Klassenkameraden aufgrund des Lockdowns gar nicht mehr wiedergesehen haben, dann ist das ein nicht zu unterschätzendes traumatisches Erlebnis. Hier ist es ratsam, sich Unterstützung zu suchen und sich Zeit zu geben, um das Geschehene auf gesunde Weise zu verarbeiten.
Phase 2: Der Honeymoon – Mit rosa Brille auf Wolke 7
Diese Phase fühlt sich tatsächlich wie ein Honeymoon oder ein Heimaturlaub an. Vorherrschend ist die Freude über das Wiedersehen von Verwandten und guten alten Freunden. Es wird alles gegessen und ausgekostet, was man im Ausland vermisst hat. Das Umfeld gibt einem noch eine Schonfrist und ist sehr hilfsbereit bei der Eingewöhnung und belastet einen noch nicht mit allzu viel Verantwortung oder Problemen.
Diese Phase, in der man alles durch die rosa Brille sieht, hält in etwa zwei bis vier Wochen an. Auch hier gilt, es ist nicht für jeden der gleiche Ablauf und die gleiche Intensität. Selbst innerhalb einer Familie kann es große Unterschiede geben. Hier gilt es, jedem seinen Freiraum zu lassen und Verständnis füreinander zu haben. Zu berücksichtigen gilt hier außerdem, dass es nicht für alle Familienmitglieder eine Rückkehr in die Heimat ist (z.B. bei bi-kulturellen Paaren oder Kindern, die bei der Ausreise noch sehr klein waren).
Phase 3: Eigenkulturschock – Aufruhr im Unterbewusstsein
Der Eigenkulturschock ist kein einzelner Moment und kein plötzlicher Schock, sondern vielmehr eine komplexe, zu großen Teilen unbewusste Gefühlslage, die sich über Wochen und Monate hinziehen kann. Die Übergänge zu den anderen Phasen sind fließend. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Rückkehr eine große Veränderung darstellt und Zeit braucht. Zeit, um alles zu verarbeiten. Raum für die Trauer über den Abschied von Land, Leuten und einer ganz besonderen Lebensphase, in der man persönlich sehr gewachsen ist.
Die unterschiedlichen Ursachen für den Eigenkulturschock habe ich im nachfolgenden Diagramm auf Basis zahlreicher Erfahrungsberichte, Fachartikel und eigenen Erkenntnissen zusammengefasst. Es wird deutlich, welch unerwartete und vielschichtige Bereiche von der Rückkehr betroffen sind. Oft fehlt einem das Vokabular, um das Gefühlschaos zu beschreiben und die Pain Points zu benennen. Diese Übersicht soll als Reflexionshilfe dienen.
Typisch für diese Phase ist die Idealisierung der Zeit im Ausland. Mit verklärtem Blick schwärmt man von all den schönen Erlebnissen und blendet dabei alles Negative aus. Ernüchterung setzt ein und die unschönen Aspekte der Heimat stechen jetzt besonders hervor. Statt mit einer rosa Brille schaut man nun durch die Auslandsbrille auf alles, was zur Folge hat, dass man über seine Mitmenschen und die Heimat ungewohnt hart urteilt.
Ironischerweise erwartet das Umfeld, dass man sich inzwischen eingelebt hast und es einem gut geht. Innerlich leidet man jedoch gerade am meisten und oft hat man keinen verständnisvollen Gesprächspartner zur Verfügung bzw. ist selbst beschämt darüber, dass man nicht einfach glücklich ist. Dabei ist es völlig verständlich, dass man mit sich hadert, denn nach und nach wird das Ausmaß der eigenen Transformation bewusst, man hat sich verändert und die anderen auch.
Hinzu kommen Unsicherheiten und Gefühlschaos, die das Dasein als „kultureller Hybrid“ mit sich bringt. Es plagen einen Zweifel über den Sinn der Entsendung insgesamt. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit, weil man meint, man müsse zurück auf Los und wieder ganz vorn vorne anfangen. Rückkehrer kämpfen im Job nicht selten mit Status- und Autonomieverlust. Alltagsroutinen sind noch in der Findungsphase, was viel Energie kostet. Der Transformationsprozess schlaucht und man ist gereizt, unkonzentriert, keine gute Gesellschaft, zieht sich zurück und flüchtet gerne in Social Media.
Für die Kinder kann der Prozess ebenso komplex und langwierig sein, wie für die Erwachsenen, auch wenn sie es nicht so deutlich zeigen. Hier sollten Eltern im Blick haben, ob Verhaltensauffälligkeiten oder lang andauernde depressive Phasen auftreten und sich professionelle Begleitung suchen (s. hierzu mein Beratungsangebot und den Verweis auf mein Expertennetzwerk). Die Verantwortung für das Wohlbefinden der Kinder belastet die Eltern oft zusätzlich in dieser Zeit. Alle Familienmitglieder brauchen verstärkte Aufmerksamkeit und einen liebevollen, verständnisvollen Umgang miteinander.
Phase 4: Reintegration – Der Zauber von „Sowohl als auch“
Und jetzt kommt endlich die gute Nachricht: Es geht vorbei! Früher oder später wird man sich einleben und nach und nach innerlich ankommen. Nun fühlt sich Heimat wieder vertraut an, man trifft Bekannte beim Einkaufen, im Job ist man wieder voll integriert, die Kinder haben sich in der Schule eingelebt, das soziale Netzwerk steht. Routinen und Alltag stellen sich ein und geben Sicherheit, man erlangt wieder mehr Kontrolle, entwickelt mehr Selbstbewusstsein und eine Vision für die Zukunft.
In dieser Phase können Heimat und Auslandsaufenthalt aus einer ausgeglicheneren Perspektive betrachtet und reflektiert werden. Es wird deutlich, dass man durchaus das Beste aus beiden Welten beibehalten kann. Es muss kein Entweder-Oder geben, es geht auch ein Sowohl-Als-Auch!
Meine Begleitung
Als Trainerin und Coach begleite ich Rückkehrer durch alle Phasen, von der Vorbereitung über den Eigenkulturschock bis hin zur Reintegration. Ich biete sowohl Einzel- als auch Gruppencoaching an. Gemeinsam mit meiner Kollegin Christina Kapaun habe ich ein Gruppen-Coaching Programm für Rückkehrer entwickelt: „Arriving“. Hier findest du alle Infos zu „Arriving“ und die Termine, wann die nächste Gruppe startet.